Schmelztemperatur von Oligonukleotiden
Wie wird die Tm von DNA berechnet?
Als Schmelztemperatur (Tm) eines Oligonukleotids wird die Temperatur bezeichnet, bei der 50 % des Oligonukleotids mit dessen perfektem Komplement duplexiert und 50 % frei in Lösung ist. Die Kenntnis der Tm ist für zahlreiche Verfahren in der Molekularbiologie (z. B. PCR, Southern Blotting, In-situ-Hybridisierung) von entscheidender Bedeutung. Einige dieser klassischen Verfahren werden immer noch häufig in Verbindung mit neueren Techniken eingesetzt, wie z. B. die PCR-basierte Bibliotheksvorbereitung von Proben für das Next Generation Sequencing.
Die gängigste experimentelle Methode zur Bestimmung der Tm ist die Messung der Extinktionsänderung des Oligonukleotids mit seinem Komplement in Abhängigkeit von der Temperatur (Abbildung 1). Experimentell ermittelte Tm Werte sind zwar am genauesten, aber bei klassischen molekularen Verfahren für Routineanwendungen nicht erforderlich.
Abbildung 1. Beispiel für die experimentelle Bestimmung der Oligonukleotid-Tm.Die Messungen werden in einer thermostatisierten Zelle in einem UV-VIS-Spektralphotometer durchgeführt. Tm ist der Wert auf halbem Weg zwischen dem Plateau der doppelsträngigen DNA (dsDNA) und der einzelsträngigen DNA (ssDNA).
Zur Berechnung der erwarteten Tm können theoretische Methoden verwendet werden, in denen sowohl die wahrscheinlich vorgesehene Technik als auch die Faktoren berücksichtigt werden, die das Schmelzen beeinflussen (Sequenzkonzentration, Sequenzlänge, Basenzusammensetzung, Ionenstärke usw.).
Theoretische Berechnungsmethoden der DNA-Tm
Je nach Art der Sequenz wird eine von zwei Methoden zur Berechnung der Tm eingesetzt:
- Nächste-Nachbarn-Methode
- Basismethode
Nächste-Nachbarn-Methode
Die primäre Methode, die wir zur Berechnung von Tm verwenden, ist die Nächste-Nachbarn-Methode1,2.Wir verwenden sie für Oligonukleotide mit Sequenzlängen von 15 bis 120 Basen (obere Längengrenze unseres Standardangebots an DNA-Oligos). Diese Methode gilt als die genaueste, da sie die Sequenz des Oligonukleotids und nicht nur die Basenzusammensetzung berücksichtigt, wie es bei anderen Methoden der Fall ist. Die Nächste-Nachbarn-Methode berücksichtigt sowohl thermodynamische als auch andere Faktoren, die sich auf Tm auswirken, einschließlich der Konzentrationen von Oligonukleotiden und monovalenter Kationen.
Wir verwenden die folgende modifizierte Formel für die Nächste-Nachbarn-Methode:
Wobei:
Tm = Schmelztemperatur in °C
ΔH = Enthalpieänderung in kcal mol-1 (berücksichtigt die Energieänderung bei der Hybridisierung/beim Schmelzen)
A = Konstante von -0,0108 kcal K-1 ᐧ mol-1 (berücksichtigt die Helixinitiierung bei der Hybridisierung / beim Schmelzen)
ΔS = Entropieänderung in kcal K-1 ᐧ mol-1 (berücksichtigt die Energie, die keine Arbeit verrichten kann, d. h. Unordnung)
R = Gaskonstante von 0,00199 kcal K-1 ᐧ mol-1 (Konstante, die Energie in Temperatur skaliert)
C = Oligonukleotidkonzentration in M oder mol L-1 (wir verwenden 0,0000005, d.h. 0,5 µM)
-273,15 = Umrechnungsfaktor, um die erwartete Temperatur in Kelvin in °C zu ändern
[Na+] = Natriumionenkonzentration in M oder mol L-1 (wir verwenden 0,05, d. h. 50 mM)
Für ΔH, ΔS und A gibt es eine endliche Anzahl von Werten für die nächsten Nachbarn, die direkt in die obige Formel eingesetzt werden können (Tabelle 1).
Tabelle 1. Werte für die nächsten Nachbarn von ΔH und ΔS. In der Publikation, die als Quelle für die Formel der Berechnung der Werte für die nächsten Nachbarn der Base für ΔH und ΔS dient (Referenz 1), werden ΔS, A und R in Einheiten von cal K-1 ᐧ mol-1 angegeben, sodass in der Formel ein Faktor von 1000 mit ΔH (angegeben in kcal mol-1) multipliziert wird, um die Einheiten auszugleichen. Hier geben wir ΔS, A und R in Einheiten von kcal K-1 ᐧ mol-1 an, damit die Einheiten für jeden Parameter übereinstimmen und somit die nachstehende Beispielrechnung während der Dimensionsanalyse intuitiver zu verstehen ist. Unabhängig vom Ansatz ist der berechnete Wert für Tm identisch. Eine vollständige Liste der ΔH- und ΔS-Werte, auch für Wobble-Sequenzen, sind bei unserem technischem Service unter der E-Mail-Adresse [email protected] erhältlich.
Molekül | DNA | RNA | ||
---|---|---|---|---|
Interaktion | ΔH | ΔS | ΔH | ΔS |
AA/TT* | -9,1** | -0,0240 | -6,6 | -0,0184 |
AT/TA | -8,6 | -0,0239 | -5,7 | -0,0155 |
TA/AT | -6,0 | -0,0169 | -8,1 | -0,0226 |
CA/GT | -5,8 | -0,0129 | -10,5 | -0,0278 |
GT/CA | -6,5 | -0,0173 | -10,2 | -0,0262 |
CT/GA | -7,8 | -0,0208 | -7,6 | -0,0192 |
GA/CT | -5,6 | -0,0135 | -13,3 | -0,0355 |
CG/GC | -11,9 | -0,0278 | -8,0 | -0,0194 |
GC/CG | -11,1 | -0,0267 | -14,2 | -0,0349 |
GG/CC | -11,0 | -0,0266 | -12,2 | -0,0297 |
*Die linke Sequenz ist 5' nach 3', während die rechte Sequenz 3' nach 5' ist, z. B. für AA/TT ist AA 5' nach 3' und TT 3' nach 5'. Wählen Sie bei der Auswahl der Werte immer die Richtung von 5' nach 3', unabhängig davon, ob es sich um die linke oder rechte Sequenz in der richtigen Ausrichtung handelt.
**Negative Werte zeigen, dass die Hybridisierung enthalpisch und entropisch günstig ist. Positive Werte würden die Umkehrreaktion, das Schmelzen, widerspiegeln und zu einer identischen Tm Berechnung führen.
Beispiel für die Berechnung der nächsten Nachbarn. In diesem Beispiel wird die manuelle Berechnung der Tm für die folgende Sequenz demonstriert:
5'-AAAAACCCCCGGGGGTTTTT-3'
Dies ist die obige Sequenz gepaart mit ihrem reversen Komplement:
5'-AAAAACCCCCGGGGGTTTTT-3'
3'-TTTTTGGGGGCCCCCAAAAA-5'
Schritt eins: Ermittlung der nächsten Nachbarn für ΔH und ΔS und Summierung der einzelnen Parameter
In Tabelle 1 sind die ΔH- und ΔS-Werte für alle nächsten Nachbarn der Zielsequenz von 5' nach 3‘ aufgeführt. Die ermittelten nächsten Nachbarpaare mit ihren ΔH- und ΔS-Werten (und Summen) lauten wie folgt:
Nächste Nachbarn | ΔH | ΔS |
---|---|---|
AA/TT | -9,1 | -0,0240 |
AA/TT | -9,1 | -0,0240 |
AA/TT | -9,1 | -0,0240 |
AA/TT | -9,1 | -0,0240 |
GT/CA | -6,5 | -0,0173 |
GG/CC | -11,0 | -0,0266 |
GG/CC | -11,0 | -0,0266 |
GG/CC | -11,0 | -0,0266 |
GG/CC | -11,0 | -0,0266 |
CG/GC | -11,9 | -0,0278 |
GG/CC | -11,0 | -0,0266 |
GG/CC | -11,0 | -0,0266 |
GG/CC | -11,0 | -0,0266 |
GG/CC | -11,0 | -0,0266 |
GT/CA | -6,5 | -0,0173 |
AA/TT | -9,1 | -0,0240 |
AA/TT | -9,1 | -0,0240 |
AA/TT | -9,1 | -0,0240 |
AA/TT | -9,1 | -0,0240 |
Summe | -185,7 | -0,4672 |
Schritt zwei: Einsetzen der Werte in die Formel für die nächsten Nachbarn zur Berechnung der Schmelztemperatur
Tm = 69,6 °C
Zum Vergleich hier der Wert, der mit einem Online-Rechner für Oligonukleotidsequenzen ermittelt wurde:
Der manuell berechnete Wert von 69,6 und der vom Online-Rechner berechnete Wert von 69,7 (die Diskrepanz ist darauf zurückzuführen, dass der ursprüngliche Literaturwert für die Gaskonstante von 1,987 für diese Beispielrechnung auf 1,99 gerundet wurde).
Der Wert von 69,7 wird auf dem technischen Datenblatt dieses Oligonukleotids angegeben.
Basismethode
Eine zweite von uns eingesetzte Methode zur Berechnung von Tm ist die Basismethode (eine modifizierte Marmur-Doty-Formel3), die wir für Oligonukleotide mit kurzen Sequenzlängen, d. h. mit 14 Basen oder weniger, verwenden. Diese Methode, die zum Teil von Membranhybridisierungs-Experimenten abgeleitet ist, geht von einer Primerkonzentration in Höhe von 50 nM, einer Konzentration einwertiger (Na+) Ionen von 50 mM und einem pH-Wert von 7,0 aus. Da Membranhybridisierungs-Experimente gegenwärtig weniger häufig durchgeführt werden als vor einigen Jahrzehnten, als diese Forschungsmethode ursprünglich eingesetzt wurde, wird durch einen Korrekturfaktor berücksichtigt, dass das Oligonukleotid wahrscheinlich frei in Lösung ist, wenn diese z. B. in einem aktuelleren Verfahren wie der PCR eingesetzt wird.
Wir verwenden die folgende modifizierte Marmur-Doty-Formel:
Tm = 2(A + T) + 4(C + G) - 7
Wobei:
Tm = Schmelztemperatur in °C
A = Anzahl der Adenosin-Nukleotide in der Sequenz
T = Anzahl der Thymidin-Nukleotide in der Sequenz
C = Anzahl der Cytidin-Nukleotide in der Sequenz
G = Anzahl der Guanosin-Nukleotide in der Sequenz
-7 = Korrekturfaktor für "in Lösung"
Marmur-Doty-Beispielrechnung. In diesem Beispiel wird die manuelle Berechnung der Tm für die folgende Sequenz demonstriert:
5'-ACGTCCGGACTT-3'
Schritt eins: Einsetzen der Werte in die Marmur-Doty-Formel zur Berechnung der Schmelztemperatur
Tm = 2(A + T) + 4(C + G) - 7
Tm = 2(2 + 3) + 4(4 + 3) - 7
Tm = 31,0 °C
Zum Vergleich hier der Wert, der mit einem Online-Rechner für Oligonukleotidsequenzen ermittelt wurde:
Der Wert von 31,0 ist auf dem technischen Datenblatt dieses Oligonukleotids angegeben.
Wenn beabsichtigt wird, derart kurze Oligonukleotide für Membranhybridisierungs-Experimente zu verwenden, empfehlen wir, manuell +7 zu der angezeigten Tm hinzuzufügen (d. h. der vorgenannte Wert wäre 38 °C).
Schlussfolgerung
Zur Bestimmung der Tm eines Oligonukleotids wird eine von zwei Methoden verwendet, die für die klassischen molekularen Verfahren optimiert wird. Wenden Sie sich gerne an unseren technischen Service, wenn Sie weitere Unterstützung benötigen.
Literatur
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